BRUCHSTELLEN
-
BREAK LINES
SECTION I
I.1 Ruine - Ruin
I.2 Bruch - Break
I.3 Lebensweg - Path of Life
I.4 Ursus Minor - Ursus Minor
I.5 Phoenix (Metamorphose) - Phoenix (Metamorphosis)
I.6 Engelsmusik - Angel Music
I.7 Jahreszeiten des Lebens - Life Seasons
I.8 Die Reiter - The Horsemen
RUINE
Mein Kopf ist ein Haus das
Ich nicht länger bewohnen kann
Es ist ein unheimliches, großes Gebäude
Aus Stein dunkel und zwei Mal ausgebrannt
Die Fensterscheiben sind bei den Bränden geborsten
Bretter, Bretter, billige rohhölzerne Latten sind vor
Die ehemals gut gepflegten mit
Vorhängen und Pflanzen geschmückten
Fenster und Ausgänge genagelt –
Es gibt keinen Durchguck mehr.
Ich bin noch in diesem Haus das
Ich nicht mehr länger bewohnen kann
Die Handwerker die nach den Bränden
Gerufen wurden hatten vergessen dass ich
Noch hier war als sie die Verwüstungen
Notdürftig zu richten begannen sie haben
Schutt und Asche entfernt ausgekehrt ich
Habe geschlafen währenddessen ich habe sie
Gesehen doch konnte mich nicht bewegen
Zuletzt haben sie alles vernagelt
Und mich dann hier alleine gelassen.
Ich will dieses Haus verlassen ich
Bin so allein hier ich habe kein Brot
Keinen Wein das Telefon ist abgestellt
Den Briefkasten kann ich nicht mehr erreichen.
Doch selbst von Brot und Wein allein
Könnte ich nicht leben
Ich will weg aus diesem
Großen leeren Gebäude mit dem
Spiralförmigen Treppenhaus ohne Geländer
Wie soll ich bloß ohne Werkzeug
Diese Barrieren Bretter so sorgfältig
Mit deutscher Handwerkskunst angebracht
Entfernen? Ausbrechen aus diesem Haus?
(1984)
RUIN
My head is a house which
I can no longer inhabit.
It is a large, eerie building
Made of stone, dark and gutted twice
During the fires, the windows have been shattered
Planks, planks, cheap boards from raw wood have been
Nailed against the windows and exits –
Once well maintained and decorated with curtains and plants
There is no view outside anymore.
I am still in this house that
I can no longer inhabit
The handymen who had been called after the fires
Had overlooked that I
Was still here when they began their makeshift
Emergency operations they have
Swept out the rubble and ash I have
Slept meanwhile I have
Seen them but I could not move.
In the end they have sealed everything
And left me here alone.
I want to leave this house I
Am so alone here I have no bread
No wine, telephone has been disconnected.
I cannot reach the post box anymore.
But even bread and wine would be insufficient
To live on.
I want to leave this
Large empty building with its
Spiral-shaped stairway without a banister.
How shall I – without tools -
Take away these barriers, planks so proficiently
Erected with German craftmanship?
Break out of this house?
(1984)
BRUCH
(für Martin)
Ich breche mit Dir.
Ich breche den Stab über Dich.
Ich breche ab.
Ich breche die Grenzen.
Ich breche eine Lanze auf meine Zukunft.
Ich breche auf.
Ich breche Türen auf.
Ich breche das neue köstliche Brot.
Ich breche an.
Ich breche nicht mehr mein Herz.
Ich breche nicht mehr zusammen.
Ich breche nicht mehr ein -
Ins Reich der Gebrochenen Herzen.
(1985)
BREAK
(for Martin)
I break with you.
I condemn you.
I break off.
I break the limits.
I make a break for my future.
I break up.
I break doors.
I break the new delicious bread.
I break camp.
I don’t break my heart anymore.
I don’t break down anymore.
I don’t break in anymore -
Into the Empire of Broken Hearts.
(1985)
LEBENS
WEG
Mein Leben hat keinen Weg
Mein Weg hat kein Leben.
Auf der Suche nach dem Steg
Zu mir selbst nach dem Beben.
Mein Leben auf Abwegen
Mein Weg auf dem Ableben.
Ich steh’ ganz allein im Regen
Wieviele Tropfen nur an mir kleben.
Naß bin ich ein weinendes Kind
Besudelt von Tränen, Sperma und Blut.
Meine Gedanken überhaupt nicht lind
Nur Schreiben macht‘s wieder gut.
(2011)
PATH
OF
LIFE
My life has no path
My path has no life.
Searching for the footbridge
To myself after the quake.
My life on the wrong track
My path on the wane.
I am all alone in the rain
Weird how many drops stick to me.
Wet am I a weeping child
Sullied by tears, sperm and blood.
My thoughts are not at all mild
Only writing can heal me.
(2011)
URSUS MINOR
Der Kleine Bär, ganz allein, er reist
Nicht auf seiner ureigenen Bahn -
Vor’m fremden Firmament, er kreist
In einem müden weißen Wahn.
Er rumpelt, er pumpelt, ruckel-zuckel
Weiter, immer weiter, nur nicht steh’n -
All die vielen Jahre hat er auf’m Buckel
Er kann nicht dreh’n, nein, er muβ geh’n.
Ein neuer Stern verändert nun ganz
Das alte Verhältnis der Kräfte vor Ort -
Ein kosmisches Gewitter, ein Planetentanz
Schleudert’s winzige Bärchen wuchtig fort.
Es schwebt ganz allein im luftleeren All
Sucht endlos seinen Weg, seinen Halt -
Einen neuen Fixstern, allüberall
Es sucht, es fänd' ihn - besser bald.
(2010)
URSUS MINOR
The Small Bear, all alone, it travels
Along a path that is not its own -
Befpre an alien firmament, it orbits
In a tired white lunacy.
It rumbles, it tumbles, rumble-tumble
Further, always further, never standing still -
It is lumbered with all these many years
It cannot turn, no, it has to keep going.
A new star completely changes
The old balance of power on the spot -
A cosmic thunderstorm, a dance of planets
Flings the tiny bearlet away.
It floats all alone within the vacuum of space
Endlessly seeking its path, its anchor -
A new fixed star, everywhere
It is searching, it found it – better soon.
(2010)
PHOENIX
(Metamorphose)
Phoenix sei mein Name:
Gern flöge ich fort
Meine Flügel hängen lahme
Kann nicht wechseln den Ort.
Phoenix fegt seine Asche:
Rotheiss glüht sie noch
Steht hoch zur Gamasche
Dies ist sein Lebensjoch.
Phoenix kann singen:
In Viererreimen ohne End’
Und ohne Noten gelingen
Neue Verse – er bekennt.
Phoenix streckt seine Schwingen:
Zur Probe jetzt bloß
Um Luft muss er ringen
Zu fliehen den sicheren Schoß.
Phoenix harret des Abend:
Der Schließung der Blutroten Rose
Hört’s Rauschen der Nacht – bebend
Entflieht er seinem Kerkerlose.
​
(2010)
PHOENIX
(Metamorphosis)
Phoenix be my name:
I would love to fly away
My wings hang lame
Cannot depart.
​
Phoenix sweeps up his ashes:
Red-hot they still glow
They reach to his gaiter
This is his life's yoke.
​
Phoenix can sing:
In four-line rhymes that never end
And without notes succeed
New verses - he confesses.
​
Phoenix stretches his wings:
Just to rehearse now
He has to struggle for air
To flee the safety of the womb.
​
Phoenix awaits the evening:
The closure of the blood-red rose
Hears the rustling of the night - quivering
He escapes his prisoner's destiny.
​
(2010)
ENGEL
MUSIK
Ganz abgeIegt hat sie den Sternenumhang -
Ihre Jungfräulichkeit ist nicht mehr von Belang
Die heilige Madonna nimmt sich 'nen Tag frei
Und es lächelt fein ihr ach so edles Konterfei.
Von des Mondes Sichel ist sie abgestiegen
Und weggeschickt hat sie die Engelsriegen
Endlich steht sie nun auf eig'nen Füssen
Eine neue Freiheit will sie heut' begrüßen.
Des Knaben nimmt sich nun ihr Verlobter an
Maria's Leben stand zu lang in Kindes Bann
Heut' probt sie eine ganz neue selige Freiheit
Und vergisst das Joch der stetigen Heiligkeit.
Maria fühlt sich einsam, doch ohne Makel
Weit weg will sie von Weihrauch, Tabernakel
Inkognito und völlig ohne heiligen Schein
Nimmt sie die bunte Welt in Augenschein.
​
(2012)
ANGEL
MUSIC
She has doffed the cloak dotted with stars -
Her virginity does not matter anymore
The Holy Madonna takes a day off and
Smiles so finely, her very noble likeness.
​
She has descended from the crescent moon
And she has dismissed the squads of angels
Finally she stands on her own feet
Today, she will hail a new liberty.
Her fiancé will now see to the boy's needs
Mary's life was too long under child's spell
Today she rehearses a new blissful freedom
And forgets the yoke of constant sanctity.
​
Mary feels lonely, but without blemish
Wants to get far away from incense, tabernacle
Incognito and stripped of her halo
She inspects the colourful world.
​
​
(2012)
JAHRESZEITEN
DES LEBENS
(für Jonathan)
Du weißt, dass der Frühling zu kurz war
Wenn die Ernte spärlich erscheint
Die Obstbäume nur Laub tragen.
​
Du weißt, dass der Sommer vorbei ist
Wenn die Birken unentwegt rauschen
Sich wiegen und neigen.
​
Du weißt, dass der Herbst einzieht
Wenn dein Kind seinen Rucksack -
Den großen schwarzen – voll bepackt.
​
Du weißt, dass es bald Winter wird
Wenn das Wäldchen sich lichtet
Der Wind nur braune Baumgerippe zurücklässt.
​
Und nach dem Sturm die Stille bleibt.
Du weißt, dass die Jahreszeiten
Dir nur einmal gehören.
Du weißt, dass sich der Staub der Zeit
Wie ein bleiernes Gewand um deinen Körper legt.
Du weißt, dass die Jahreszeiten
Jetzt deinem Kind gehören.
​
(2015)
.
LIFE SEASONS
(for Jonathan)
You know that spring was too short
When the harvest seems sparse
The fruiters only bear leaves.
​
You know that summer is over
When the birch trees constantly rustle
Sway back and forth and bend.
​
You know that autumn is coming
When your child packs his rucksack -
The big black one - full to the brim.
j
You know that winter will arrive soon
When the grove thins out
The wind only leaves brown skeletons of trees.
​
And after the storm only silence remains.
You know that the seasons
Only belong to you once.
You know that the dust of time
Settles upon your body like a leaden robe.
You know that the seasons
Now belong to your child.
​
(2015)
DIE REITER
Diesen Dezember sind Lucia's Lichter stumm
Sie sprechen nicht zu uns wie jedes Jahr
Am Abgrund tanzt die Welt, so krumm
Seuche, Krieg, 's walzt ein perfides Paar.
Erst zwei der Reiter sind schon hier
Weit am Horizont ist der dritte zu seh'n
Er ist die Ausgeburt gemeiner Gier
's ist das Ende wohin sie alle geh'n.
Der letzte noch fern und ohne Pferd
Bleich sein Geist, wie atomisierter Nebel
Doch irgendwann erreicht er jeden Herd
Und versiegelt Münder mit 'nem Knebel.
​
Dort wo einst Gärten Früchte trugen
Bleibt nach seiner Ankunft nur noch Asche
Geröll, Fenster und Türen aus den Fugen
Hier und da noch Reste von 'ner Flasche.
Schon hat er sie geschmiedet - eine Trense
Für seinen fahlen Gaul: der Tod
Alle fällt er sie mit seiner Sense
Und Hades' Fährmann lädt sie in sein Boot.
​
​
(Dezember 2022)
THE HORSEMEN
Lucia's Lights are mute in this December
They do not speak to us like every year -
The world is dancing on the edge, so awry
Disease, war - a perfidious pair is waltzing.
​
Only two of the horsemen have arrived yet
Far at the horizon the third can be beheld
He is the spawn of base greed
It's the end they are all heading to.
​
The last one still far away and without a mount
Pale his spirit, like atomised mist
But eventually, he will reach each hearth
And seal mouths with a gag.
j
Where gardens once bore fruit
Will only remain ash after his arrival
Debris, windows, doors come apart at the seams
Here and there still a remainder of a bottle.
​
He has already forged a snaffle
For his pallid horse: Death
Will chop them all down with his scythe
And Hades' ferryman loads them onto his boat.
​
(December 2022)