MONATE &
JAHRESZEITEN
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MONTHS & SEASONS
SECTION VII
VII.1 Kalenderlicher Sommer - Calendarly Summer
VII.2 Erste Februartage - First Days in February
VII.3 Herbstgedanken - Autumn Thoughts
VII.4 Sommerregensonate - Summer Rain Sonata
VII.5 Schauern - Showers
VII.6 Juli's Mitte - July's Midst
VII.7 Liebes Lied - Lovely Song
VII.8 Herbstraunen - Autumn Murmur
VII.9 Sabine's Reigen - Sabine's Roundel
VII.10 Herbstnebel - Autumn Fog
VII.11 Zwischen den Jahren - Between the Years
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KALENDERLICHER SOMMER
Sommer. Und dann können
Nicht einmal die Linden, symphonisch grün allemal, ihr Duftlied singen.
Nicht einmal diese wetterwendischen Terrassen Menschenköpfe blühen lassen.
Nicht einmal die ungezählten Firmamente über dieser unewigen Stadt
Ihre jahreszeitlich vorgeschriebene Bläue zeigen.
Und ich dachte, dachte fest, das Datum schriebe den Sommer vor,
Zumindest das stetige Schwarzaufweiß des Abreißkalenders meldet ihn.
Zumindest das wolkenlose Kirvergessen, gekühlt im Abendrausch, träumt ihn.
Zumindest die lauwarmen Boulevardkonversationen heucheln seine Existenz
Doch er benimmt sich launisch in diesen polierten Breitengraden.
Sommer. Und dann können
Nicht einmal die Fähnchen neben der bleitrüben See in Ostende ihn heranwinken.
Nicht einmal die weißen Fähren nach England Wanderlust verbreiten.
Nicht einmal Déjeuners in Gartenrestaurants ihn orchestrieren – ersatzlos gestrichen -
Windregen treibt weiße Papierservietten vor sich her und den Sommer fort.
Und ich dachte das opulente Grün sei der Sommer-Beweis,
Zumindest die manikürten Parks, bezäunt von rostigen Gittern, lassen Farben gedeihen.
Zumindest weiße Sandaletten, besprenkelt mit Schlick, geben vor er sei hier.
Zumindest des Himmels Gaben sind üppig – Wolkenbäusche, Regen, Hagel,
Nur die Sonne, dies‘ unstete Ding, geizt mit ihren saisonnierten Strahlen.
(1991, als es in Brüssel noch verregnete, kalte Sommer gab)
CALENDARLY SUMMER
Summer. And then
Not even the lime trees, symphonically green, can sing their fragrant song.
Not even these fickle terraces can have human heads bloom.
Not even the countless skies above this un-eternal town can
display their seasonally prescribed blueness.
And I thought, firmly, the date stipulated the summer,
At least the continual blackonwhite of the tear-off calendar announces it.
At least the cloudless Kir-forgetfulness, cooled down in the evening rush, dreams it.
At least the lukewarm boulevard conversations pretend it exists
but it behaves capriciously at these polished latitudes.
Summer. And then
Not even the flaglets next to the murky sea in Ostende can wave it in.
Not even the white ferries to England can dissipate wanderlust.
Not even déjeuner at the garden restaurant can orchestrate it – cancelled.
Windy rain propels white napkins through the air, blowing the summer away.
And I thought, the opulent greenery was summer-proof,
At least the manicured parks, fenced-in by rusty railings, let colours thrive.
At least white stiletto sandals, speckled with mud, pretend it is here.
At least the gifts from heaven are abundant – puffs of cloud, rain, hail
Just the sun, this unsteady thing, is miserly with its seasonal rays.
(1991, when there were still rain-swept, cold summers in Brussels)
ERSTE
FEBRUARTAGE
Und kaum können wir es wirklich glauben:
Ein ganzer Monat ist an uns vorbeigerauscht!
Unser vorheriges Leben wollten wir entstauben –
Doch Vorsätze sind längst wieder eingetauscht:
Gegen die Gewohnheit, gegen das bequeme Leben.
Und weiter rollen wir durch unsere trüben Jahre
Nehmen Schlenker und verstärken alles Streben
Umsonst, denn alte Schwächen bleiben Alltagsmahre.
So spärlich war das Licht der alten Lebensrunde
Um so größer alle grauen Schatten die sie warf.
Auch dies‘ Mal schlägt uns keine neue Stunde -
Es ist ‘n Zauberspruch dessen es bedarf.
Und noch immer können wir’s nicht richtig fassen:
Schon ein ganzer Monat ist an uns vorbeigerannt.
Weiter streifen wir durch kahle Lebensgassen –
Und wie gern hätten wir das alte Selbst verbannt!
(2012)
FIRST DAYS
IN FEBRUARY
And we can hardly believe it, really:
An entire month has rushed past us!
Our former life, we wanted to dust it off –
But resolutions have long been bartered:
For habit, for a comfortable life.
And we carry on rolling through our dull years
Taking detours, reinforcing all our efforts
In vain, because old weaknesses remain quotidian nightmares.
So dim was the light of the old way of life
All the larger were the grey shadows it cast.
Again, this time no new hour strikes for us -
It is a magic spell that is required.
And we can still not really grasp it:
Already an entire month has run past us.
Continuing to roam life's bleak alleyways –
And how we would have loved to banish our old self.
(2012)
HERBST
GEDANKEN
(B-Moll)
Ahornblätter - gelb, braun, doch meist die roten:
Die streut der Herbst als seine allerersten Boten
Auf des Weihers' steinige Promenadenwege
Auf seine Liegewiesen und die winzigen Stege.
Tief schwebt eine taubengraue Wolkenwand:
In b-Moll tönt nun das heit're Sommerland
Über der olivfarbenen matten Wasserfläche
Schon gestern regneten vom Himmel Bäche.
Tief aufgewühlt sind Rasen, Rabatten, Beete:
Von Picknicks bleiben noch 'n paar Plastikpakete
'n verknickter Schirm bezeugt des Regens Wut
Es bleiben noch gebroch'ne Äste nach der Flut.
Alle Bäume tragen noch ihr sattgrünes Antlitz:
Doch schon algenüberzogen ist der Bänke Sitz
Immerfort fall‘n bunte Blätter und reife Früchte -
Ende August verdichten sich die Herbstgerüchte.
(2011)
AUTUMN THOUGHTS
(B-minor)
Maple leaves – yellow, brown, but mostly the red ones:
The autumn scatters them as its very first heralds
Upon the pond’s pebbly pathways
Upon its lawns and the tiny footbridges.
A pigeon-grey cloud bank is hovering low:
- The serene summerland resounds in B-minor now
Above the olive-coloured matte water
Rivulets already rained from the skies yesterday.
Churned up are lawns, borders, patches:
Some plastic parcels remain after a few picnics
A creased umbrella witnesses the rain’s fury
There remain broken branches after the flood.
All the trees still carry their rich-green countenance:
But the benches are already covered in algae
Ever more colourful leaves and ripe fruit are falling off
At the end of August rumours of autumn condense.
​
(2011)
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SOMMER
REGEN
SONATE
(D-Moll)
Der Himmel spielt gerade seine Weise
Ganz bittersüß tönt ihre Melodie in Moll
Sie tropft aus den Wolken – still und leise -
Weiß nicht, ob ich dazu tanzen soll.
Wie rhythmische Musik erklingt sein Klopfen
Der Sommerregen gibt mir würdiges Geleit
Haare, Lider, Wimpern glänzen voller Tropfen
Er verwäscht das Schwarze und das Leid.
Wie’n Kind schwimm' ich durch seine Wogen
Seine kühle Nässe schreckt mich gar nicht
Mascara zeichnet einen schmierigen Bogen
All über mein rot-glühendes Ungesicht.
Das laue Wasser streichelt meine Gedanken
Seifig schmeckt sie – die Sommerregensonate
Aufgeführt wird sie auf morschen Planken
Zieht sich weiter durchs Band der Monate.
(2012)
SUMMER
RAIN
SONATA
(D-minor)
The sky is just playing its tune
So bittersweet resounds its melody in minor
It is dripping from the clouds – on the quiet -
Don’t know, whether I should dance to it.
It is ringing out like rhythmic music
The summer rain gives me a worthy escort
Hair, lids, lashes shine full of drops
It washes away the black and the sorrow.
Like a child I am swimming through its waves
Its cool wetness does not at all terrify me
Mascara draws a smeary arch
All across my red-gleaming un-face.
The tepid water caresses my thoughts
Tastes soapy – the summer rain sonata
Performed upon rotten planks
Continues through the band of months.
(2012)
SCHAUERN
Den Schirm hab' ich im Bus vergessen
Und schon geht eine Schauer nieder.
Ihre Heftigkeit kann ich noch nicht ermessen
Ach, dieser Tage komm' sie regelmäßig wieder.
Sie tragen einen weiten grauen Mantel
Und schauen grimmig wie ein spitzer Fels.
Auch ich brauch' jetzt 'nen Regenmantel
Wenn nicht gar einen dicken Winterpelz.
Das Vogelvolk am See schaut übellaunig
Sein Nachwuchs steckt mit einem Bein im Matsch.
Auch Hunde benehmen sich nun clownig
Herrchen's Stöckchen macht fatsch-klatsch.
Auf der Terrasse sitz' nur ich allein
Unter einem nicht isolierten Dach.
Mit einer nassen Zeitung, steifem Bein
Nipp' an kaltem Kaffee und spiel' Schach.
Die Welt, in ihr steh' ich allein im Regen
Ihre Schauern lassen mich erschauern.
Welt, bitte gib' mir wieder Deinen Segen!
Wie nur, wie kann ich sie überdauern?
(2012)
SHOWERS
The umbrella, I have forgotten it in the bus
And yet a shower descends.
I cannot yet gauge its strength
Oh, these days they happen regularly.
They wear a large grey coat
And look grim like a spiky rock.
Me too, I need a rain coat now
If not even a thick winter pelt.
The avian people at the pond looks cantankerous
Its offspring has one foot stuck in the mud.
Dogs also behave like clowns now
Their masters‘ sticks, they make fatch-klatch.
On the terrace, I am sitting on my own
Underneath an uninsulated roof.
With a wet newspaper and a stiff leg
Sip at cold coffee and play chess.
The world, in it, I am left out in the rain
Its showers make me shiver.
World, please give me your blessing again!
How can I survive them?
(2012)
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JULI'S MITTE
Herbstes Wind bläst straff durch Juli's Mitte -
Er sprüht mir schmierigen Nieselregen ins Gesicht.
Über verfaulte Blätter führen meine Schritte
Ach, dieser Monat gönnt mir kein Quentchen Licht.
Das luftige Wolkenhaus der alltäglichen Träume
Ändert nun ganz plötzlich seine windige Position.
Das Echo in der langen Flucht der inneren Räume
Tönt nun hohl und hallt nach als eiskalter Hohn.
Übersät von Blasen ist die bräunliche Pfütze
In die's von meinem sommerblauen Himmel fiel.
Wozu? Ach, war’s denn nur ein bisschen nütze?
's lehmig-schmutzige Wasser bildet Siel um Siel.
Darin spiegelt sich mein eigener Lebensschatten
Ungefragt stellt er mir meines Daseins Fragen -
Wie ein Kreuzverhör geht das nun vonstatten.
Verzagt will ich daran nicht verzagen.
(2011)
JULY'S
MIDST
Autumn’s wind blows firmly through July’s midst -
It sprinkles smeary drizzle in my face.
All my steps lead across decomposed leaves
Oh, this month, it deigns me not one modicum of light.
The airy cloud-house of everyday dreams
Suddenly changes its windy position.
The echo within the flight of inner rooms
Resounds hollow now and resonates as ice-cold scorn.
Strewn with bubbles is the brownish puddle
Into which it fell from my summer-blue sky.
Why? Oh, was it at least useful for some ends?
The foam-dirty water forms sewer after sewer.
Therein is the reflection of my own life's shadow
Unasked it asks me my existence’s questions -
This is taking place like a cross-examination.
Disheartened I do not want to get disheartened by it.
(2011)
LIEBES LIED
Gurrend und voll grüner Verse
Singt mir der Mai sein liebes Lied
Seine Poesie trifft die Achillesferse
Immer war’s der Mai der mich verriet.
Sattgrünes Efeu umarmt in üppigen Ranken
Den verwunschenen Rotkreuz-Backsteinbau
Noch wächst es weiter – ohne Schranken
Und unsichtbar ist nun der Mauer Grau.
Ein Gerüst aus lauter eisernen Teilen
Umkränzt das Gesicht des alten Baus
Seine Stangen gleichen roten Pfeilen
Gerichtet auf mein geliebtes eig’nes Haus.
Es ist nicht allzu fest geerdet
Schwebt auf kipp’ligen Pilastern
Durch lange Leidensjahre ganz entwertet
Seine Substanz bröckelt unter Pflastern.
Weiter tönt des Marienmonats Lied
Ohne Reime, Rhythmus und Punktion
Echoet es mein Leben in ’ner Suite
Auf ’nem verstimmten Klavier – so kakophon.
(2012)
LOVELY SONG
Cooing and full of immature verses
May is singing its lovely song to me
Its poetry hits the Achilles heel
It was always May that betrayed me.
Rich green ivy embraces – in lush twines -
The bewitched Red-Cross brick building
It is still growing – without limits
And the grey of the wall is no longer visible.
A scaffold made of many iron parts
Garlands the face of the old structure
Its poles resemble red arrows
Pointing at my own beloved house.
It is not very well grounded
And hovers upon wobbly pilasters
Completely devalued by long years of suffering
Its substance is crumbling away under bandages.
And the song of Mary’s month continues
Without rhymes, rhythm or punction
It echoes my life in a suite
On an untuned piano - so cacophonic.
(2012)
HERBSTRAUNEN
Der frühe Oktober raunt seine Melodie
Sie rauscht kalt wie fließendes Wasser
Tote Blätter bedecken Wiesen und mein Knie
Und des Himmels Blau wird immer blasser.
Es murmelt jeden Morgen ganz verkühlt
Durch lange graphitene Wolkenstränge
Hier ’n Fuchs der in trockn’en Blättern wühlt
Er sucht sie alle ab, die Mausegänge.
Die Trauerweiden sind jetzt sommermüde
Vielarmig deut’n sie auf des Weihers Wasser
Es ist algengrün und plätschert rüde
Seine Wiesen sind jeden Morgen nasser.
Trutzige Häuser schau’n über alte Bäume
Ihre Fensteraugen sind beschlagen, blind
Ungeseh’n verfolg‘ ich meine Sommerträume
In feuchter Kälte und bei frischem Wind.
Sie spiegeln jetzt der Sonne frost’ges Licht
Doch ihre grauen Fassaden strahlen warm
Lichtstreifen nehmen mir fast die Sicht
Doch tut’s meiner Weitsicht keinen Harm.
Weiter lausche ich dem Herbstraunen
Doch kann ich es noch nicht greifen
’s schwebt durch die Lüfte, wie Daunen
Dreht Pirouetten, flicht kleine, große Schleifen.
(2012)
AUTUMN MURMUR
Early October is murmuring its melody
It’s rustling coldly, like running water
Dead leaves are covering meadows and my knee
The blue of the sky keeps getting paler.
Each morning it whispers so coolly
Through long graphite-coloured strings of clouds
There’s a fox rummaging through dry leaves
He’s searching them all, the mouse holes.
The weeping willows are tired of summer now
With their many arms, they are pointing to the pond’s water
It’s green with algues and patters rudely
Each morning, its lawns are wetter.
Watchful houses look over old trees
Their window-eyes are fogged and blind
Unsighted, I pursue my summer dreams
In humid chillness and fresh wind.
They now reflect the sun’s frosty light
But their facades radiate warmly
The rays almost take away my sight
But they do not hamper my prospicience.
And I continue listening to the autumn murmur
But I simply cannot get a grip on it
Hovering through the ether like feathers
Pirouettes, braids small, large loops.
(2012)
SABINE'S
REIGEN
Heut' zieht der Himmel eine stahlgraue Fratze –
Faucht wie'n Panther, erhebt die luftige Tatze!
Ein Sturm rast durchs Land – blitzgeschwind -
Dunkel der Platz – ich tanz‘ mit dem Wind.
Fahnen knattern staccato, ihre Farben grell -
Hoch fliegen Tüten, dazwischen Hundegebell!
Gleich heb‘ ich ab – ich hüpf' wie ein Kind -
Nass der Asphalt – ich tanz' mit dem Wind.
Eine Bö jagt die nächste, ganz rasend schnell -
Das Heulen grausig, mir sträubt sich das Fell!
Ein Orkan fegt die Stadt, ihre Zeit gerinnt –
Verweht alles Leichte – ich tanz' mit dem Wind.
Heut‘ zieht der Himmel eine bleierne Grimasse -
Ein Taifun bläst und peitscht, mit grosser Klasse!
Die Welt so brüchig, wir sind nur ihr Kind:
Fragil unser Leben – ein Tanz mit dem Wind.
(2020)
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SABINE'S
ROUNDEL
Today the sky is pulling a steel-grey grimace –
Hisses like a panther, raises its airy paw!
A storm is raging through the land – fast as lightning -
Dark the square – I am dancing with the wind.
Flags are rattling in staccato, their colours stark -
Carrier bags are flying high, inbetween the barking of dogs!
Soon I am going to take off – I am leaping like a child -
Wet the asphalt – I am dancing with the wind.
One squall is hunting the next, at breakneck speed -
The howling‘s grim, my pelt is bristling!
A hurricane is sweeping the town, its time congeals –
Is blowing away all that is light – I am dancing with the wind
Today the sky is wearing a leaden scowl -
A typhoon is whiffing and whipping, top class!
The world has become brittle, we are only it’s child:
Fragile our lives – a dance with the wind.
(2020)
HERBST
NEBEL
Der Boden ist bedeckt mit Blättern
Irreal-schön in ihrer toten Buntheit
Warm ihre Farben - bei allen Wettern
Zur Kalenderneige des nackten Asphalt’s Kleid.
Herbstlaub knistert unter jedem kleinen Schritte
Sturmböen verwirbeln es in jede Richtung
Ein Vogelschwarm fliegt durch seine Mitte
Steigt hoch, landet dann in einer Lichtung.
Zurück bleiben braune Baumgerippe
Nach der oktoberlichen Farbenflut
Sie steh‘n einsam auf einer Klippe
In des Jahres letzter Sonnenglut.
Regen zieht heran, nieselt leicht, doch stetig
Feucht glänzen Stämme, Wege, Steine
Und unter seinem Schleier wird’s neblig
Im Dunsthauch wähnt der Wanderer sich alleine.
In dieser Welt der verwischten Konturen
Wirkt der Pfad plötzlich verschwommen, schmal
Behutsam, tastend, die Suche nach Spuren
Alldieweil steigt weiter Nebel auf vom Tal.
Im Zwielicht verlassen Hexen ihre Kavernen
Schweben durch die Nebelschwaden im Terzett
An den Strand tragen sie ihre Geisterlaternen
Raunen Beschwörungsorakel, vergraben ein Stilett.
Und wallende Gewänder entschwinden der Sicht
War’s eine Fata Morgana? Es rauscht das Meer
Nebel lichtet sich, ans Gestade peitscht die Gischt
Strahlen zucken durch Wolken, der Strand scheint leer.
(2022)
AUTUMN
FOG
The ground is covered with leaves
Surreally beautiful in their dead variegation
Warm their colours, in all weather conditions
At calendar’s end, they are the naked tarmac’s cape.
Autumn leaf rustles under each small step.
Squalls are swirling it in all directions,
A swarm of birds is flying through its midst
Rises high, then lands in a forest glade.
There remain brown tree skeletons
After the Octoberly colour flood –
They stand alone on top of a cliff
In the last embers of the year’s sun.
Rain moves in, drizzles lightly but steadily
Tree trunks, paths, stones gleam damply
And underneath its veil it is getting foggy
In the haze the walker thinks himself to be alone.
Within this world of smudged contours
The path appears suddenly blurred, narrow
Circumspect, tentative, the search for traces
All the while, more autumn fog is rising from the valley.
In the twilight witches are leaving their caverns,
Hover through the billows of mist in a trio
They carry their ghostly lantern to the beach
Murmuring, summoning oracles, bury a stylet.
And flowing gowns disappear from sight –
Was it a Fata Morgana? The ocean roars
Fog clears, sea foam is whipping towards the shore
Sunrays flicker through the clouds, the beach seems void.
​
(2022)
ZWISCHEN DEN
JAHREN
Zwischen den Jahren steht das Leben still
Nix bewegt sich, so sehr ich es auch will
Außer dem Regen – er kommt in Fäden
Trommelt beharrlich gegen geschlossene Läden.
's braucht lang' um sich von uns zu trennen
Und am liebsten würden wir's nicht kennen:
Das Alte Jahr und seine böse Saat
Es bracht‘ uns auf des Abgrund’s Pfad.
Wie benommene Kinder torkeln wir darauf
Versuchen zu erkennen seinen weit'ren Lauf
Doch undurchdringlicher Nebel versperrt die Sicht
Und offenen Auges sehen wir nicht.
Wie er sich weiter verengt, der Weg
Und schwer zu finden ist, der Steg
Die Bequemlichkeit der fetten Dekaden
Verschwunden ist sie in den Schwaden.
Die Freunde können's noch nicht glauben:
Dies ist nicht mehr die Zeit der Tauben
Längst haben sie begonnen uns zu stalken
Mit scharfem Auge, die beutegier'gen Falken.
Lang die Krallen der Columbidenfresser
Ihre Schnäbel scharf wie japanische Messer
Die Falconidae steh'n fast still im dichten Äther
Um sich auf ihr Opfer zu stürzen, später.
(2022)
BETWEEN TWO YEARS
Between two years life stands still
Nothing is moving, although it’s all I hope for
Except the rain – it is coming in threads,
Drumming persistently against closed shutters.
It takes a long time to separate it from us
And we would prefer not to know it at all:
The old year and its evil seed,
It took us to the path on the edge.
We are staggering along it like dazed children,
Trying to discern its further course,
But impenetrable fog blocks the view
And we cannot see with wide-open eyes.
How it further narrows, the way
And difficult to find, the footbridge:
The comfort of these fat decades
Has disappeared in the clouds.
The friends cannot believe it yet.
This is no longer the time of doves;
Long since have they started stalking us
With a sharp eye, the ravening falcons.
Long are the claws of the Columbidae-eaters,
Their beaks sharp like Japanese knives,
The Falconidae stand almost still within dense ether
To swoop down on their prey, later.
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(2022)